⚡ Studierendenengagement in unterschiedlichen Online-Lehrformaten
#StudierendenzentrierteLehre #Workloaderhebung #Workloadsteuerung #BlendedLearning #Lernvideos #Heterogenität
Christoph Eisl, Daniela Freudenthaler-Mayrhofer und Gerold Wagner
Der Brückenkurs „Controlling“ wird zum Beginn des Masterstudiums „Supply Chain Management“ an der FH OÖ in Steyr in reiner Online-Form angeboten. Der Beitrag beschäftigt sich mit der Erfassung und Steuerung der studentischen Arbeitsverteilung durch Modifikationen des Lehrveranstaltungs-Setups.
Seit über 10 Jahren wird an der Fakultät für Wirtschaft und Management der FH OÖ in Steyr das Masterstudium „Supply Chain Management“ angeboten. Um eine Antwort auf die Heterogenität der Studienanfänger*innen mit unterschiedlichen Vorkenntnissen anzubieten, (vgl. Hanf, 2015, S. 13-28) wird zu Beginn des Studiums der Brückenkurs „Controlling“ angeboten – primär für jene Studierenden, die mit vergleichsweise geringen Controlling-Vorkenntnissen das Studium beginnen. Ziel einer mit dem Studienjahr 2021/22 umgesetzten Änderung war es, durch ein vollständig digitales und asynchrones Lernformat die Vorteile einer Online-Lehrveranstaltung umzusetzen, ohne dabei den damit oft verbundenen Qualitätsverlust zu erleiden (vgl. Freudenthaler-Mayrhofer/Wagner, 2021, S. 1ff.). Wesentliche Elemente der Lehrveranstaltung waren beispielsweise selbst entwickelte und digital über die Videoplattform YouTube bereitgestellte Videos, die die Kerninhalte eines verwendeten Lehrbuches wiedergeben, digitale Beispielsammlungen und dazugehörige Aufgaben, ein Online-Coaching durch den Lehrenden bis hin zur online abgewickelten Klausur (vgl. Hsin/Cigas, 2013, S. 253-259). Die Lehrveranstaltung hat einen Umfang von drei ECTS-Leistungspunkten und wird gänzlich digital und in deutscher Sprache abgehalten. Als Lehrunterlagen dienen
- ein Controlling-Lehrbuch – Eisl et al (2019), Grundlagen der finanziellen Unternehmensführung, Band IV Controlling, Lindeverlag; inkl. zugehöriger Lernplattform https://finance.lernguide.com (enthält Videos zur Lösung von Übungsaufgaben in MS Excel („Tutorials“) und ermöglicht auch den Download der Excel-Lösungsdateien)
- 33 ausgewählte Erklärvideos des Youtube-Channels „Controlling verstehen“.
1. Erfahrungen aus der Lehrveranstaltungsumsetzung
Die Lehrveranstaltung fand in zwei aufeinanderfolgenden Jahren in einem Zeitraum von September bis Dezember statt, wobei die Arbeitsaufträge nach Kalenderwochen gegliedert waren.
Erste Durchführung – hohes Maß an Selbststeuerung und Freiraum
In der ersten Durchführung gab es im Lehrveranstaltungszeitraum lediglich einen „Vorschlag“ für Lernsequenzen, d.h. die Studierenden wurden zwar aufgefordert, jede Woche bestimmte Themen und Übungsbeispiele zu bearbeiten, es erfolgte aber keine Überprüfung, ob diese Arbeiten tatsächlich erledigt wurden. Neben einem einstündigen Kick-off-Termin gab es zwei ebenfalls einstündige offene Fragenrunden, jeweils über MS Teams (Online-Video). Zwischendurch wurden zudem in MS Teams von Studierenden schriftlich gestellte Fragen beantwortet. Insgesamt wurde die Möglichkeit zur Interaktion aus Sicht des Lehrenden nur in sehr begrenztem Ausmaß wahrgenommen. Die Lehrzielkontrolle erfolgte auf Basis einer abschließenden Klausur und einer – gering gewichteten – individuellen Reflexion der Lernerfahrungen.
Zweite Durchführung – Mehr Struktur und Guidance bei dennoch selbstgesteuertem Lernprozess
Das Setting der ersten Durchführung wurde in der zweiten Durchführung folgendermaßen geändert: Zum einen mussten die Studierenden die Kerninhalte der Videos schriftlich zusammenfassen und dazu passend zumindest eine Frage formulieren. Beides war unter Einhaltung von Abgabefristen in MS Teams hochzuladen. Die Abgaben wurden – zusätzlich zu Klausur und Reflexionsbericht - in die Gesamtbeurteilung der Lehrveranstaltung einbezogen. Zum anderen wurden die Fragerunden um zwei Online-Termine erweitert. Im Rahmen der Fragestunden wurden primär die von den Studierenden gestellten Fragen diskutiert. Die Interaktion war aus Sicht des Lehrenden deutlich stärker ausgeprägt.
2. Erkenntnisse aus der Evaluierung der LVA
Die Evaluierung des Lernprozesses wurde auf zwei Arten durchgeführt. Zum einen wurden die Zugriffe auf die Lernplattform und die Videos mittels MS Teams erhoben und analysiert, zum anderen wurden die Studierenden aufgefordert, ihre eigenen Lernerfahrungen mittels offener Selbstreflexion im ersten Jahr und mittels eines halbstrukturierten Fragebogens mit teilweise offenen und teils geschlossenen Fragen im zweiten Jahr zu reflektieren.
Evaluierung mittels MS-Teams-Zugriffstracking
Die erste Art der Evaluierung sollte vor allem aufzeigen, wie regelmäßig die Studierenden auf die digitalen Lehrmittel zugegriffen haben und wie sich die Zugriffe über das Semester hin verteilt haben. Ganz konkret war aus Forschungssicht von Interesse, ob ein kontinuierlicher Lernprozess – dem LVA-Design folgend – stattfindet oder ob sich Spitzen vor den Klausuren ergeben, was darauf schließen ließe, dass ein kontinuierlicher Lernprozess im Rahmen der Selbststeuerung nicht umgesetzt wurde.
Für die Erhebung der Daten wurde auf die Auswertung der Studierendenaktivitäten in Microsoft Teams (App „Insights“) zurückgegriffen. Ein Student gilt dabei dann als „aktiv“, wenn er am jeweiligen Tag mindestens einmal auf die Inhalte des LV-Kurses zugegriffen hat.
Vergleicht man die Auswertung der Zugriffe zwischen dem ersten und dem zweiten Setup, so zeigt sich folgendes Bild:
Abbildung 1: Verteilung der Studierendenaktivität im direkten Vergleich der beiden Setups
Auch im direkten Vergleich der Studierendenaktivität zwischen den beiden Setups zeigt sich bereits auf den ersten Eindruck die höhere und gleichmäßiger verteilte Aktivität der Studierenden im zweiten Durchlauf. Tabellarisch lässt sich diese unterschiedliche Aktivität folgendermaßen darstellen, indem die Anzahl der Tage angeführt wird, an denen der Anteil der aktiven Studierenden einen gewissen Schwellwert überschreitet:
Aktivität | Setup 1 | Setup 2 |
> 25% | 14 | 36 |
> 50% | 7 | 16 |
> 75% | 1 | 5 |
Tabelle 1: Anzahl der Tage, an denen der Anteil der aktiven Studierenden einen Schwellwert überschreitet
Daraus ist zu folgern, dass bei einem verringerten Ausmaß an Selbststeuerung und dem Einplanen von konkreten Online-Terminen, bei denen Aufgaben erfüllt sein müssen, die Auseinandersetzung mit den Controlling-Inhalten wesentlich regelmäßiger passiert ist und der Lernprozess eher dem idealtypischen Bild der Vortragenden entspricht.
Evaluierung des eigenen Lernprozesses mittels Reflexionsfragen
Als zweite Form der Evaluierung wurde ein halbstrukturierter Fragebogen mit offenen und geschlossenen Fragen gewählt, der in beiden Durchgängen an die Studierenden verteilt wurde. Darin wurde die allgemeine Zufriedenheit mit dem Kursformat, die Qualität der Lernvideos, der Nutzen der Lernvideos, der Nutzen der Online-Tutorials, der Arbeitsaufwand und der Austausch mit anderen Studierenden reflektiert. Die Zufriedenheit war in beiden Durchgängen hoch, wobei sie im zweiten Durchgang noch etwas höher war. Die Qualität und der Nutzen der Lernvideos wurde in beiden Durchgängen hoch eingestuft, die Online Meetings ebenso. Insbesondere im zweiten Durchgang profitierten jene, die noch weniger Vorkenntnisse in Controlling hatten. Der Arbeitsaufwand für den Kurs divergiert stark, was mit den Vorkenntnissen in Verbindung zu bringen ist und auch stark dafür spricht, den Kurs auch weiterhin asynchron und online durchzuführen. Dies ermöglicht eine individuelle Lernintensität. Wichtig für die Bewertung des Kurses sind den Studierenden eine gute Verteilung der Arbeitslast und die sichere Bewältigung des Kurses, was für eine Beibehaltung des stärker strukturierten zweiten Formats spricht.
3. Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine rein digitale Controlling-Lehre in gewissen Anwendungsbereichen sehr gut funktionieren kann. Die eingesetzten Videos haben sich dabei als äußerst hilfreich erwiesen. Den Studierenden war es möglich, in ihrem eigenen Lerntempo zu arbeiten und individuelle inhaltliche Schwerpunkte - gerade dort, wo sie selbst einen besonderen Aufholbedarf sahen - zu setzen. Eine gewisse “Fremdsteuerung” in Form regelmäßiger Abgabeverpflichtungen für Aufgabenstellungen in der zweiten Durchführung der Lehrveranstaltung verstärkte die Beschäftigung der Studierenden mit den Lehrveranstaltungsinhalten, die sich gleichzeitig auch gleichmäßiger über das Semester verteilte und in deutlich intensiveren und tiefgreifenderen Diskussionen in
- Freudenthaler-Mayrhofer D & Wagner, G (2021). Die Innovation Week im Lockdown: Wie interaktive und anwendungsorientierte Lehre virtualisiert werden kann – eine Diskussion der Potenziale und Grenzen. In: Schutti-Pfeil, G; Darilion, A; Ehrenstorfer, B (Hrsg): Tagungsband 9. Tag der Lehre der FH OÖ: Resilienz und Resilienzfaktoren in der Hochschullehre – Anpassungsleistungen der Hochschuldidaktik in volatilen Zeiten. Linz.
- Hanf, A (2015): Heterogene Studierende – homogene Studienstrukturen. In: Hanft, Anke; Zawacki-Richter, O; Gierke, Willi B (Hrsg.): Herausforderung Heterogenität beim Übergang in die Hochschule. Waxmann, Münster [u.a.]: Waxmann S. 13-28
- Hsin, WJ, & Cigas, J (2013): Short videos improve student learning in online education. Journal of Computing Sciences in Colleges, 28(5): 253-259
FH-Prof. Mag. Dr. Christoph Eisl
Fachhochschule Oberösterreich, FH-Professor für Controlling und pädagogischer Koordinator des Masterstudiengangs «Controlling, Rechnungswesen und Finanzmanagement», Fakultät für Wirtschaft und Management
christoph.eisl@fh-steyr.at
FH-Prof. Mag. Dr. Daniela Freudenthaler-Mayrhofer
Fachhochschule Oberösterreich, FH-Professorin für Innovation, Fakultät für Wirtschaft und Management
daniela.freudenthaler-mayrhofer@fh-steyr.at
FH-Prof. Mag. Dr. Gerold Wagner
Fachhochschule Oberösterreich, FH-Professor für Wirtschaftsinformatik und pädagogischer Koordinator des Masterstudiengangs «Supply Chain Management», Fakultät für Wirtschaft und Management
gerold.wagner@fh-steyr.at
Isabell Grundschober:
Vielen Dank für den interessanten Beitrag! Haben Sie auch den Lernerfolg verglichen können? Hat die höhere Aktivität durch Einführung der regelmäßigen Zusammenfassungs-Tasks zu besseren Lernerfolg geführt? Darüber hinaus wäre interessant: Wie gehen Sie nun damit um, dass Zusammenfassungen etc. nun sehr einfach mit ChatGPT generiert werden können? Das ist ja ein Problem, das nun viele betrifft, die ähnliche Aufgabenstellungen in ihren Seminaren anbieten oder vorschreiben. Beste Grüße!
Gerold Wagner:
Ja, wir haben den Lernerfolg zumindest anhand der erzielten Noten verglichen. Hierbei ergab sich aber kein signifikanter Unterschied. So gesehen also kein besserer Lernerfolg.
Da zumindest zum Zeitpunkt der LV eine automatische Zusammenfassung von Videos noch kein Thema war, hatte diese Möglichkeit u.E. keinen Einfluss. Zudem ist es ohnehin einfach, eine Zusammenfassung von KommilitonInnen zu erhalten. "Schummeln" wäre also leicht möglich gewesen. Dennoch konnten wir deutlich höhere Studierendenaktivität im zweiten Setup feststellen.
Christina Anderer:
Überraschend an Abbildung 1 finde ich, dass selbst gegen Ende des Beobachtungszeitraumes (ich gehe davon aus die Klausur findet unmittelbar danach statt?) die Aktivität in Setup 2 größer ist. Ich wäre davon ausgegangen, dass hier die erste Gruppe die zweite überholen würde (dass also noch schnell versucht wird, viel Inhalt in kurzer Zeit zu bearbeiten). Offenbar ist aber sogar in dieser Zeit die Aktivität im Setup 2 höher. Spannend :)
Gerold Wagner:
Ja, das ist tatsächlich überraschend - und es ist Teil der insgesamt geringeren Studierendenaktivitäten. Ursache könnte auch sein, dass es ja bei zu spätem Bechäftigen mit der Materie auch an Möglichkeiten fehlt, bisher Bearbeitetes anzusehen (weil man eben noch nichts bearbeitet hat). Und natürlich ist - bei allem Bemühen, die Arbeitslast zu verteilen - gegen Ende des Semsters immer viel zu tun, sodass die Möglicheit, hier zusätzlich Zeit für ein einzelnes Fach einzusetzen.