Tag für Lehrende 2024 der FHStP

07.02.2024

🛠️ Inklusive Bildung für Alle: Barrieren erkennen, verstehen und überwinden

Digitale Barrierefreiheit, Inklusion, Bildungsgerechtigkeit, Diversität

Sabrina Zeaiter

Im Workshop standen die Möglichkeiten, Vorteile und Herausforderungen im Bereich Digitaler Barrierefreiheit im Fokus. Durch einen Input zu Accessibility und praktische Übungen wurde ein Bewusstsein für die Bedürfnisse verschiedener Lernender geschaffen und Barrieren erlebbar vermittelt. Zudem wurden technische Lösungsansätze und Erfahrungen aus dem DigiTeLL Projekt präsentiert und individuelle Bedarfe diskutiert.

Die Diversität der heutigen Gesellschaft  spiegelt sich auch in der Studierendenschaft wider (Allemann-Ghionda, 2014; Ostermann, 2021). Zum gesetzlichen Auftrag universitärer Lehre, die Heterogenität der Lernenden positiv aufzunehmen, gehört auch, vielfältige Zugänge zu Lehr-Lernmaterialien für verschiedenste Bedarfe und Voraussetzungen zu schaffen. Die Digitalisierung kann hier unterstützend wirken und über inklusive Zugangswege Bildungsgerechtigkeit stärken, aber auch aus technischen Hürden und sozialen Zurücksetzungen neue Barrieren entstehen lassen. Deshalb müssen Barrierefreiheits- und Diversitätsansätze nicht erst nachträglich implementiert, sondern von Beginn an konzeptuell mitgedacht werden.

Die daraus resultierende größere Wahlfreiheit an Wegen zum selben Stoff (bspw. Untertitel bei audiovisuellen Lehr-Lerninhalten) und dessen überlegte curriculare Verteilung, sowie die größere technische Robustheit und Unabhängigkeit von der IT-Ausstattung, verbessern die Teilnahmebedingungen für alle, unabhängig von besonderen Bedarfen. Diese Chance eröffnet sich aber nur insofern, als die Herausforderung einer den Fachkulturen angemessenen, ressourcensparenden Umsetzung von digitaler Barrierefreiheit und diversitätssensiblen Prozessen bewältigt wird.

Fachbezogenheit und Praktikabilität erweisen sich dabei als Erfolgsfaktoren einer möglichst frühzeitigen, umfassenden Beratung und Umsetzung für Lehrende. Barrierefreiheit und Diversitätskonzepte stärken Bildungsgerechtigkeit durch chancengerechtere Teilhabe für alle. Eine multiperspektivische Ansprache von Studierenden in ihrem Lernraum trägt epistemisch und didaktisch zu Bildungsgerechtigkeit bei. Kriterienkataloge, Checklisten und intensive Einzelberatungen helfen, Diversität barrierefrei in Lehr-Lern-Settings zu verankern.

Ziel unseres anschaulich und praxisnah gehaltenen Workshops war, unseren Ansatz und unsere Erfahrungen aus dem von der Stiftung Innovationen in der Hochschullehre geförderten Projekt Digital Teaching and Learning Lab (DigiTeLL) mit der Community zu teilen.

Am Beginn des Workshops stand ein Kurzinput zum Thema “Was implizieren Inklusion und Barrierefreiheit in Lehr-/Lernsettings? Handlungsleitende Theorieelemente für die Praxis”, in Form einer Videobotschaft. Barrierefreiheit schafft krisenfestere Bedingungen für alle durch unterschiedliche Rezeptionsmöglichkeiten und technische Robustheit. Zugleich ist Barrierefreiheit ein bedeutender Baustein für eine chancengerechte, inklusive Politik. Diese Thematik findet sich zunehmend prominent  in rechtlichen Vorgaben, wie den Hochschulgesetzen der Bundesländer, dem Behindertengleichstellungsgesetz, der UN-Behindertenrechtskonvention und dem grundgesetzlichen Diskriminierungsschutz wieder. Gesundheitliche Beeinträchtigungen und Behinderungen sind an Hochschulen häufig anzutreffen, werden jedoch oft übersehen. Aktuellen Erhebungen zufolge (z.B. best3-Studie des Deutschen Studentenwerks) haben etwa 16% eines jeden Studienjahrgangs mit studienerschwerenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu kämpfen, mit steigender Tendenz. Besonders im Fokus stehen dabei psychische Beeinträchtigungen wie z.B. Depressionen und Angststörungen.
Bildung eröffnet eine Vielfalt an Entwicklungschancen für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen. Der Zugang zu Bildung sollte ohne vermeidbare Barrieren gewährleistet sein, um eine chancengerechte Gesellschaft zu schaffen. In Bezug auf die Barrierefreiheit in Lehr-/Lernsettings bedeutet das, mehrere Zugangswege zum selben Inhalt anzubieten. So ist gewährleistet, dass noch ein zweiter Weg offensteht, wenn aus unterschiedlichen Gründen der Zugang zum Lernstoff versperrt ist. Bei Videos etwa leisten dies die Untertitel, bei Bildern die Alternativtexte. Der Anspruch, völlige Barrierefreiheit zu schaffen, ist aufgrund verschiedener Probleme – z.B. gegensätzliche Bedarfslagen, die einschlägige Ressourcenpolitik – oder auch aufgrund anderer konkurrierender Ziele im Bereich künstlerischer Gestaltung oder des Denkmal-/Umweltschutz kaum einlösbar.
Ein praxisnaher Ansatzpunkt für Lehrende ist es, sich auf das aktuelle (Lern-)Ziel zu fokussieren, die Zielgruppe im Blick zu behalten und darüber hinaus Offenheit und Gesprächsbereitschaft zu vermitteln, um eine gemeinsame Lösungssuche anzuregen. Dabei lassen sich Ansätze auf verschiedenen Ebenen der Barrierefreiheit unterscheiden: didaktisch-inhaltliche Aspekte, medien-/technische, organisatorische und zwischenmenschlich-kulturelle Faktoren leisten jeweils ihren Beitrag.
Die Beeinträchtigungen von Studierenden können sehr vielfältiger Art sein. Das deutsche Studentenwerk unterscheidet u.a.: Mobilitätsbeeinträchtigungen, Sehbeeinträchtigungen (einschließlich Blindheit), Hörbeeinträchtigungen (einschließlich Gehörlosigkeit), Sprach- und Sprechbeeinträchtigungen und psychische Störungen/Erkrankungen (Belastungen). Weiterhin werden Autismus, AD(H)S und körperliche Erkrankungen wie Morbus Chrohn, Colitis Ulcerosa, schwere Allergien, Rheuma und Diabetes genannt. 
Wie kann man sich in die Lage von Betroffenen hineinversetzen? Für Sehbehinderungen stehen beispielsweise Simulatoren zur Verfügung, die verschiedene Sehbeeinträchtigungen simulieren. Mithilfe von Browser-Plugins, wie dem Web Disability Simulator für Google Chrome, können Nutzer*innen im Internet mit simulierten Sehbeeinträchtigungen interagieren und  zahlreiche Hürden besser nachvollziehen. Ein Video verdeutlicht hingegen, wie es ist, einen Vortrag oder ein Gespräch mit einer Hörbeeinträchtigung zu erleben. Solche “eigenen” Erfahrungen mit Barrieren sind entscheidend, um beispielsweise zu erkennen, wie wichtig es ist, dass alle Lehrenden in ihren Veranstaltungen Mikrofone verwenden.
Eine große Hoffnung wird in KI-Tools gesetzt, die helfen, automatisch Untertitel oder Bildbeschreibungen zu erstellen, die Überprüfung auf Barrierefreiheit zu erleichtern oder Texte in Leichte oder einfache Sprache zu übertragen. Sie helfen somit sowohl Barrieren zu erkennen und zu verstehen, als auch, sie zu beheben. Der Einsatz von KI-Tools bringt sozial also viele Vorteile, aber auch Grenzen mit sich, die es in den nächsten Jahren auszuloten gibt.