🗣️ “Die Vorlesung beginnt gleich!“ - Studierendenzentrierung im Zukunftscheck
#Lernendenzentrierung #ZukunftDerHochschulbildung #StudierendeImFokus #FutureSkills
Isabell Grundschober
Der Paradigmenwechsel von Lehrenden- hin zur Lernendenzentrierung wurde jahrelang gefordert. Im Hochschul-Jargon halten sich jedoch hartnäckig Relikte aus vergangenen Zeiten: Studierende gehen weiterhin zur „Vorlesung“ und hören dort den „Vortragenden“ zu. Wie steht es um Studierendenzentrierung in Zeiten von Future Skills und Kompetenzorientierung?
In den letzten Jahren wurde der Ruf nach Lernendenzentrierung in Lern- und Lehrsettings an Schulen und Hochschulen immer lauter. Es musste ein Paradigmenwechsel her und eine “zeitgemäße” Schule und Hochschule wurde gefordert. Diese wird auch weiterhin gefordert, um die Lernenden auf die Herausforderungen der Zukunft bestmöglich vorzubereiten. In unserem Hochschul-Jargon halten sich aber hartnäckig Begriffe wie „Vortragende“ und „Vorlesungen“. Ein Widerspruch?
Zeit für einen Realitycheck!
Was ist übrig nach Jahren der Forderung von „Lernendenzentrierung“? Wo stehen wir jetzt mit der Umsetzung in den Hochschulen? Welche Rolle nimmt die Lernendenzentrierung in Zeiten ein, in denen neue Phrasen Eingang in die Bildungsdebatte gefunden haben? So wurde 2023 in der Europäischen Union das „European Year of Skills“ ausgerufen (Europäische Kommission, 2022). „Skills“ brauche es! Fachwissen habe ausgedient, wenn es darum geht, die Lernenden auf eine ungewisse Zukunft vorzubereiten. Diese Aspekte möchte ich in meinem Beitrag für die Konferenz „ICM and Beyond“ genauer beleuchten. Dieser Blogpost soll als Einstieg zu meinem Beitrag dienen.
Sprechen wir vom Selben?
„Skills“ ist Schlagwort der Stunde. Jahre zuvor war noch die Rede von „Kompetenz“, die es brauche. Nun tritt dieser Begriff im öffentlichen Diskurs in den Hintergrund. Die Definition und Abgrenzung beider Begriffe ist alles andere als klar. Auch für die Bezeichnung „Lernendenzentrierung“ gibt es keine einheitliche Definition (Klemenčič et al., 2020, p. 32), obwohl er häufig genutzt wird.
Manja Klemenčič, Soziologin im Bereich komparativer europäischer und internationaler Hochschulpolitik, betont Risiken, die durch dieses uneinheitliche Verständnis von „SCL“, also „student-centred learning“ oder zu Deutsch „Studierendenzentrierung“ entstehen:
„Without clarity to its meaning and specific set of indicators to assess institutional practice, almost anything can be ‘sold’ as SCL.” (Klemenčič, 2017)
Der Begriff wird durch die Vielzahl von Verständnisarten beliebig und zur hohlen Phrase. Er kann für unterschiedlichste Zwecke eingesetzt werden kann, aber der Ursprungszweck wird dadurch nur schwer erreicht. Welche Aspekte und Konzepte gehören für Sie zu „Lernendenzentrierung“ in der Hochschule? Und wie weit ist Ihre Institution bei der aktiven Umsetzung dessen?
Zeit für ein Voting!
Viele Hochschulen rühmen sich damit, Ihre Studierenden in den Fokus zu setzen. Auch nationale Bildungsstrategien sind zumindest am Papier auf Lernendenzentrierung ausgerichtet. Wie sieht es aber in der Realität aus? Und was bedeutet dies für die Zukunft der Hochschule? Bevor wir identifizieren können, wie es um die aktuelle Implementierung steht, müssen wir mit unserem Verständnis von „Lernendenzentrierung“ beginnen. Was verstehen Sie unter bzw. verbinden Sie mit „Lernendenzentrierung“ an der Hochschule? Danach fragen wir uns: Wie weit ist dies schon in Ihrer Institution umgesetzt bzw. Alltag?
Bis zum 16.2.2024 können Sie bei der Umfrage auf Mentimeter mitmachen: Was verbinden Sie mit „Lernendenzentrierung“? Vielen Dank für Ihren Beitrag!
Auf der Ergebnisseite können Sie alle Eingaben einsehen: Zu den Ergebnissen der Umfrage.
Mehr dazu…
…gibt es bei meinem Beitrag am 14.2.2024 bei der ICM and beyond. Nach einem Reality-Check, der die Voting-Ergebnisse sowie Fachliteratur berücksichtigt, werden wir analysieren, was Lernendenzentrierung für Zukunft der Hochschulbildung leisten kann und was wir tun können, damit wir von einem Schlagwort zur effektiven Umsetzung gelangen.
Nachlese und Fazit
Buzzword oder Game-Changer?
Lernendenzentrierung ist in der Hochschullehre weitgehend anerkannt und wird als wünschenswert erachtet. In der Praxis zeigt sich aber, dass die Definition unklar und die Umsetzung in Europe fragmentiert ist. Die in den nächsten Absätzen angeführten Daten und Zitate werfen Licht auf ein grundlegendes Problem in der Debatte um die Umsetzung von Lernendenzentrierung (SCL - Student-Centered Learning) im Hochschulbereich: die mangelnde Präzision in der Definition und die daraus resultierende Herausforderung, diese Ansätze effektiv zu messen und zu bewerten.
Wenn 22 von 43 Personen angeben, dass Studierendenzentrierung an ihrer Institution nur zu 25-50% umgesetzt sei, spiegelt dies nicht nur die fragmentierte Umsetzung von SCL wider, sondern unterstreicht auch die Schwierigkeit, einheitliche Standards oder Bewertungskriterien für diese Umsetzung zu etablieren.
6 von 108 Wortmeldungen (von insgesamt 47 Personen) bezeichnen Lernendenzentrierung als das "In-den-Mittelpunkt-Stellen der Lernenden". Diese intuitive Antwort, obwohl sie den Kerngedanken von SCL berührt, kratzt nur an der Oberfläche dessen, was eine umfassende, effektive Umsetzung von SCL ausmachen sollte. Klemenčič (2017) betont: „Without clarity to its meaning and specific set of indicators to assess institutional practice, almost anything can be ‘sold’ as SCL.”
Mehr als ein Marketing-Gag?
Klemenčičs (2017) Kritik, dass ohne eine klare Definition und ein spezifisches Set von Indikatoren zur Bewertung der institutionellen Praxis fast alles als SCL „verkauft“ werden kann, ist besonders relevant. Dieses Problem der Unklarheit und der mangelnden Spezifizität führt dazu, dass der Begriff SCL verwässert wird und potenziell zu einem Marketing-Gag reduziert werden kann, ohne einen signifikanten Einfluss auf die Realitäten der Lern- und Lehrprozesse zu haben.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist es entscheidend, eine klare, umfassende Definition von Lernendenzentrierung zu entwickeln, die über die intuitive Vorstellung hinausgeht und spezifische, messbare Kriterien für die Implementierung und Bewertung umfasst. Dies würde nicht nur die Diskussion um SCL präzisieren, sondern auch ermöglichen, dass Ansätze zur Lernendenzentrierung effektiv implementiert, bewertet und verbessert werden können, um einen echten, positiven Einfluss auf die Lernumgebungen an Hochschulen zu haben.
Voting-Ergebnisse zu „Lernendzentrierung“
Mich interessierte in weiterer Folge, welche Aspekte die Teilnehmenden der ICM and Beyond 2024 mit „Lernendenzentrierung“ verbinden. Im Voting auf Mentimeter konnte Teilnehmende im Februar 2024 ihre Assoziationen angeben. Am häufigsten genannt wurden Anpassung an die Bedürfnisse der Lernenden mit 31 von 108 Nennungen, gefolgt von aktiver Partizipation mit 18 von 108 Nennungen. Am seltensten genannt wurde, genauso wie im internationalen Vergleich, formatives Feedback. Hier ist eine Übersicht der Voting-Ergebnisse:
Bremner (2020) empfiehlt, einen Rahmen aus sechs Aspekten als anpassungsfähiges Werkzeug zu verwenden, da er erkannt hat, dass die Implementierung dieser Aspekte von praktischen, kulturellen und fachspezifischen Faktoren beeinflusst wird. Oftmals wird in der Praxis versucht, Studierendenzentrierung durch die Anpassung von Lern- und Lehrmethoden zu erreichen, ohne jedoch die Beziehungen und somit die Machtverhältnisse zwischen Lernenden und Lehrenden nachhaltig zu beeinflussen. Die sechs Aspekte können sich in ihrer Anwendung gegenseitig verstärken. Bremners anpassbarer Rahmen kann somit als Basis dienen, um den eigenen Lehransatz kritisch zu überprüfen und Verbesserungspotenziale zu identifizieren.
Studierendenzentrierung bemerken und reflektieren
In der aktuellen Lehrprofessionalisierungsforschung wird „Professional Noticing“ als Methode eingesetzt, um Studierendenzentrierung aktiv mit Werkzeugen wie Bremners Sechs-Aspekte-Rahmen zu erkennen, zu reflektieren und Lehr-/Lernszenarien zu verbessern. Rooney & Boud (2019) haben einen ersten Ansatz zur „Pädagogik des Bemerkens“ entwickelt, der zukünftig in der Lehrerausbildung und -fortbildung erprobt und erforscht werden könnte.
Studierendenzentrierung in allen Phasen des Designprozesses
In meiner Keynote stellte ich zudem vor, wie ein partizipatives, agiles Modell des Instructional Designs, nämlich das Successive Approximation Model (Allen & Sites, 2012), mit dem Sechs-Aspekte-Rahmen integriert werden kann. Dies ermöglicht es, Studierendenzentrierung in verschiedenen Phasen des Designprozesses zu realisieren, und zwar nicht nur durch die Auswahl der Lehr- und Lernmethoden.
Fazit zur Keynote
Lernendenzentrierung wird häufig oberflächlich und wie ein Buzzword benutzt, aber es kann mehr als das sein. Mit der Hilfe von Bremners flexiblen Rahmen zur Definition können wir unsere Lern-und Lehrsettings reflektieren und bemerken, inwieweit wir Lernendenzentrierung tatsächlich einsetzen.
Isabell Grundschober
In Forschung und Entwicklung im Bereich Instructional Design, Work-Based Learning und Bildungstechnologie an der Universität für Weiterbildung Krems am Department für Weiterbildungsforschung und Bildungstechnologie tätig. Sie beschäftigt sich mit Corporate Learning sowie mit der Verbindung von Lernen am Arbeitsplatz und Freizeit mit formellen Bildungsangeboten.
https://isabellgru.eu/
Christina Anderer:
Die Mentimeter-Ergebnisse sind ja schon jetzt sehr interessant - bin schon gespannt, wie die Word Cloud nach der Konferenz so aussieht :)
Isabell Grundschober:
Ich bin auch schon gespannt :) Vor allem möchte ich die Einschätzungen der Abstimmenden mit den Ergebnissen einer Meta-Analyse zur Definition von Lernendenzentrierung vergleichen.