⚡ SCALE-UP in Aktion
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Jim Hirtt
Wie können innovative Raumkonzepte dazu beitragen, an Hochschulen eine Umgebung zu schaffen, die die Umsetzung einer lernendenzentrierten Präsenzphase unterstützt? Dieser Artikel analysiert die Auswirkungen des SCALE-UP Lehr- und Raumkonzepts an der TH Rosenheim auf die Lehrhaltung, Lehrveranstaltungsplanung und -umsetzung von Lehrenden. Vorläufige Ergebnisse deuten darauf hin, dass der speziell gestaltete Raum eine studierendenzentrierte Lehrhaltung fördert, sowie die Planung und Umsetzung interaktiver Lehre erleichtert und hebt damit die Bedeutung der Raumgestaltung zur Förderung lernendenzentrierter Lehre hervor.
Beim Lehransatz „Inverted Classroom“ (IC) steht neben einer lernförderlich gestalteten Selbstlernumgebung auch eine studierendenzentrierte Präsenzlehre im Mittelpunkt. Durch die Auslagerung der Lerninhalte in die Selbstlernphase, wird eine wichtige Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Präsenzphase nicht nur für die Wissensvermittlung, sondern für eine aktive Auseinandersetzung mit dem Gelernten, als auch für kommunikative und kollaborative Aktivitäten genutzt werden kann (Mason, Rutar & Cook, 2013; Zickwolf & Kauffeld, 2019). Umso wichtiger erscheint es, den durch das IC-Setting gewonnenen Freiraum in der Präsenzphase möglichst gewinnbringend im Sinne eines aktivierenden und kollaborativen Lernumfelds zu nutzen.
Hierfür benötigt es in der Hochschullehre Rahmenbedingungen, die die IC-Aktivitäten mit einer studierendenzentrierten Präsenzphase ermöglichen. Beispielhaft für diese erfolgreiche Kombination steht das SCALE-UP Raum- und Lehrkonzept “Student-Centered Active Learning Environment with Upside-down Pedagogies”, ein ursprünglich in den USA für den Bereich der Physik-Anfängerlehrveranstaltungen entwickeltes Konzept. Dieses ermöglicht Studierenden, nach dem Prinzip des IC, Lerninhalte außerhalb der Präsenzphasen zu erarbeiten, während in der speziell gestalteten Präsenzzeit kooperativ und eigenständig gearbeitet wird (Beichner et al., 2007). Die Besonderheit des SCALE-UP Konzepts ist dabei, dass es kein eindeutiges Vorne, Hinten oder festes Zentrum gibt. Ein weiteres zentrales Merkmal sind Gruppentische, meist rund oder oval, mit einer dazugehörigen technischen Ausstattung bestehend aus mehreren Beamer-Projektionsflächen oder Monitoren, so dass das Beamerbild von allen Sitzplätzen des Raumes gut einsehbar ist. Jeder Platz im Raum ist für die Lehrperson direkt frei zugänglich und gut erreichbar. Der Aufbau des Raums unterstützt mitunter auch dadurch eine studierendenzentrierte Perspektive, weil Frontalunterricht unter diesen räumlichen Gegebenheiten nur schwer umsetzbar ist, fördert durch seine Raumgestaltung kooperatives Lernen und vereinfacht die Begleitung der Lernenden (Beichner et al., 2007; Cotner et al., 2013).
Dies zeigen auch unsere eigenen Beobachtungen und Untersuchungen in der Zusammenarbeit mit den Lehrenden an der TH Rosenheim. Neben der Untersuchung der Wirksamkeit des SCALE-UP Konzepts auf das studentische Lernen, die in einer separaten Studie betrachtet wurde, geht es in diesem Beitrag um die Untersuchung des Einflusses des SCALE-UP Konzepts auf Lehrende, ihre Haltung und ihre Planung sowie Umsetzung ihrer Lehreinheiten. Hierfür wurden Interviews mit 6 Lehrenden zu zwei Zeitpunkten (Frühjahr 2022 und Sommer 2023) durchgeführt. Anhand der qualitativen Inhaltsanalyse wurde ein Kategoriensystem zur Einordnung und Interpretation der Aussagen erstellt. Details zur Untersuchung finden sich in der ersten Ausgabe der Zeitschrift „DiNa – Didaktiknachrichten“ 2024. Hierbei konnten die übergeordneten Kategorien „Lehrhaltung, „Lehrveranstaltungsplanung“ und „Lehrveranstaltungsumsetzung“ aus dem Datenmaterial gebildet werden. Zur Interpretation der Daten dienten die theoretischen Grundlagen zum „shift from teaching to learning“ und den damit verbundenen Merkmalen studierenden- und lehrendenzentrierter Lehransätze (Prosser, Taylor & Trigwell, 1994; Wildt, 2002). Anhand dieser wurde begutachtet, ob die Aussagen der Lehrenden eher Aspekte einer Studierenden- oder Lehrendenzentrierung aufweisen. Mit dem ICAP-Modell nach Chi und Wylie (2014) wurden Kriterien aufgesetzt um interaktive, konstruktive und aktive Lernaktivitäten von passiven zu unterscheiden. Zusammenfassend konnten folgende Einflüsse des SCALE-UP Konzepts auf die drei Kategorien gefunden werden.
1. Lehrveranstaltungsplanung
Die Auswirkung des SCALE-UP Konzepts auf die Haltung der Lehrenden, wurde auf Grundlage der Interviewaussagen, die auf ihre Intentionen, Erwartungen und Rollenwahrnehmung hinweisen, analysiert. Diese zeigen, dass die Intention der Lehrenden, die Präsenzlehre aktiv zu gestalten, bereits durch die Umstellung der eigenen Lehre auf "IC" bzw. „JITT“, vorausgesetzt wird. Der SCALE-UP Raum kann aber die Erwartungshaltung der Lehrenden verändern. Durch die Raumgestaltung wird die Umsetzung aktiver Lehre zur Bedingung für erfolgreiches Lehren und Lernen. Dementsprechend wird von den Studierenden erwartet, dass diese aktiv und miteinander arbeiten. Zudem vereinfacht der Aufbau des Raumes den Zugang zu den Lernenden, macht deren Lernprozess sichtbarer und erschwert das Einnehmen einer Vortragendenrolle. Dadurch werden Lehrende dazu verleitet, ihre Rolle als Lernbegleiter verstärkt wahr- und aktiv einzunehmen.
2. Lehrveranstaltungsplanung
Orientiert an den Lehrkonzepten „IC“ und „JiTT“, versuchen die Lehrenden die Lernziele zu erreichen, indem sie eine konstruktiv-interaktive Präsenzlehre planen. Der SCALE-UP Raum eignet sich den Aussagen nach, dafür besser als ein klassischer Hörsaal. So bietet der Raum weitere Gestaltungsmöglichkeiten für aktivierende Lehre und ermöglicht den Einsatz einer größeren Vielfalt an aktivierenden und kollaborativen Methoden. Zudem fordert die Raumgestaltung den Lehrenden indirekt dazu auf, diese Möglichkeiten zu nutzen und erschwert die Umsetzung von Frontallehre. So entwickeln die Lehrenden einen erhöhten Anspruch an sich selbst, möglichst viele interaktive Elemente einzubauen.
3. Lehrveranstaltungsumsetzung
Laut Interviewaussagen vereinfacht der SCALE-UP Raum die Präsenzlehre aktiv und kooperativ zu gestalten. Die Lernenden sitzen in Kleingruppen an runden Tischen, kommen so natürlicher ins Gespräch und diskutieren intensiver. Zudem steht mehr Arbeitsfläche für Zusammenarbeit und den Einsatz aktivierender Lehrmaterialien zur Verfügung. Dieses Lernumfeld fördert eine aktive Arbeitsatmosphäre. Die Studierenden stellen sich im SCALE-UP Raum auf aktives Arbeiten ein, was dem Lehrenden die Umsetzung aktivierender Lehrelemente erleichtert. Zusätzlich erlaubt die Raumgestaltung eine bessere Begleitung der Studierenden. Die Lehrenden sind näher am Lernprozess der Studierenden, kommen einfacher mit den Studierenden ins Gespräch und erkennen im Vergleich zu einem klassischen Hörsaal leichter, wo Unterstützungsbedarf besteht.
Das SCALE-UP Raum- und Lehrkonzept schafft demnach gute Voraussetzungen dafür, Lehrenden die Planung und Umsetzung einer interaktiven Präsenzphase zu erleichtern und eine studierendenzentrierte Haltung einzunehmen. Dies hebt im Allgemeinen auch die Bedeutung und das Potenzial des Lehrraums, für die studierendenzentrierte Gestaltung der Präsenzphase hervor.
- Beichner, R. J., Saul, J. M., Abbott, D. S., Morse, J. J., Deardorff, D., Allain, R. J., ... & Risley, J. S. (2007). The student-centered activities for large enrollment undergraduate programs (SCALE-UP) project. Research-based reform of university physics, 1(1), 2-39.
- Chi, M. T. H., & Wylie, R. (2014). The ICAP framework: Linking cognitive engagement to active learning outcomes. Educational Psychologist, 49(4), 219–243. DOI: 10.1080/00461520.2014.965823
- Cotner, S., Loper, J., Walker, J. D., & Brooks, D. C. (2013). "It's not you, it's the room"—Are the high-tech, active learning classrooms worth it? Journal of College Science Teaching, 42(6), 82-88.
- Mason, G., Rutar S.T. & Cook, K.E. (2013). Inverting (flipping) classrooms - Advantages and challenges. ASEE Annual Conference and Exposition, Conference Proceedings.
- Prosser, M.,Taylor, P. & Trigwell, K. (1994). Qualitative differences in approaches to teaching first year university science. Higher education 27, 75-84. https://doi.org/10.1007/BF01383761
- Wildt, J. (2002). Vom Lehren zum Lernen – Zum Wandel der Lernkultur in modularisierten Studienstrukturen. In B. Berendt, B. Szczyrba, H.-J. Voss, & J. Wildt, (Hrsg.), Neues Handbuch Hochschullehre: Lehren und Lernen effizient gestalten (S. 1-14). Raabe.
- Zickwolf, K. & Kauffeld, S. (2019). Inverted Classroom. In S. Kauffeld, J. Othmer. (Hrsg.) Handbuch Innovative Lehre (S. 45-51). Springer. https://doi-org.emedien.ub.uni-muenchen.de/10.1007/978-3-658-22797-5_2
Dr. Hanna Dölling
BayZiel – Bayerisches Zentrum für innovative Lehre | Geschäftsbereich Lehr- und Lernforschung
Studium der Pädagogik und Philosophie, Promotion im Bereich Hochschuldidaktik.
Seit 2022 operative Bereichsleiterin des Geschäftsbereichs Lehr- und Lernforschung am Bayerischen Zentrum für innovative Lehre.
doelling@bayziel.de
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Jim Hirtt
BayZiel – Bayerisches Zentrum für innovative Lehre | Geschäftsbereich Lehr- und Lernforschung
Studium der Pädagogik und Bildungswissenschaft.
Seit 2023 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Geschäftsbereich Lehr- und Lernforschung am Bayerischen Zentrum für innovative Lehre
hirtt@bayziel.de
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